Digitale Tante Emma
Tante Emma im Laden um die Ecke kannte ihre Kunden und wusste, was diese am liebsten mögen. Tante Emma gibt es nicht mehr, individuell angesprochen werden möchten Kunden aber noch immer. Mit Hilfe digitaler Technik versucht die Handelsbranche, die kundenzentrierte Kommunikation zu erreichen.
Dass der Handel das Smartphone-WLAN der Kunden nutzt, um Laufwege in Supermärkten zu erkennen, ist nichts Neues. Aber auch vor den Schaufenstern und Kassen machen die smarten Technologien keinen Halt mehr. Dort gibt es immer häufiger Bildschirme mit Werbeanzeigen. Diese können mit Hilfe von Gesichtserkennung personalisiert werden.
Kamera erkennt Geschlecht und Alter
Dabei hängt neben dem Bildschirm eine Kamera und erkennt mindestens Geschlecht und ungefähre Altersspanne des wartenden Kunden. Daraus leitet eine Software ab, ob beispielsweise eher Werbung für Lidschatten oder Auto-Felgen angezeigt werden soll. Auch wie lange die Person auf den Bildschirm schaut, kann die Kamera feststellen. Anhand dieser Daten können dann eher Bild-Anzeigen, kürzere oder längere Spots eingeblendet werden. Inzwischen testen Einzelhändler wie beispielsweise Real, der das Projekt inzwischen wegen zu vieler Beschwerden beendet hat, oder die Deutsche Post das Verfahren. Die Märkte argumentieren, das Ziel der personalisierten Werbung im Supermarkt sei nicht nur die Gewinnoptimierung, sondern ein verbessertes Einkaufserlebnis für den Kunden. Mit dieser Technologie solle trotz massenorientiertem Supermarkt das Tante-Emma-Gefühl hervorgerufen werden, denn Tante Emma wusste immer, was der Kunde braucht. Dies führt zu einer smarteren Kundenkommunikation, denn der Kunde erhält vor allem Angebote, die er im besten Falle gebrauchen kann.
Intelligente Beleuchtung und Schaufenster
Der Einzelhandel denkt bereits über weitere Möglichkeiten nach. So könnte man einzelnen Kunden gezielt Rabatt-Aktionen anbieten oder beispielsweise in Modegeschäften nur die Damen-Kollektion beleuchten, wenn eine Frau den Laden betritt. Auch ist es aktueller Gesichtserkennungssoftware möglich, Emotionen zu erkennen und entsprechende Angebote zu machen. SAP beispielsweise nutzt diese Technologie für den Prototypen einer intelligenten Schaufensteranzeige: Der Prototyp erkennt die Körpermaße des Kunden, zeigt im Schaufenster eine entsprechend große Fläche an und schlägt eine passende Kleidungskombination vor. Wenn mit Hilfe der Gesichtserkennung daraufhin erkannt wird, dass dem Kunden die Kombination nicht gefällt, wird sie gewechselt. Ein möglicher nächster Schritt wäre zum Beispiel eine Kleidungsanalyse, um zu erkennen, was sich der Kunde in etwa leisten kann, um die Preise anzupassen. So wusste Tante Emma ja auch meist, was ein Kunde zahlen kann und was sie ihm erst gar nicht anbieten musste.
Skepsis der Kunden
Die Kunden sind solchen Gesichtserkennungssoftwares gegenüber jedoch mehr als skeptisch. Die Verbraucherzentrale Nordrhein Westphalen hat in 1.000 Online-Interviews ermittelt, dass drei Viertel der Befragten solche Marketing-Maßnahmen ablehnen. Selbst wenn damit spezifische Rabatte in Aussicht gestellt würden, möchten 71 Prozent der Verbraucher nicht, dass ihr Gesicht mit einer Erkennungssoftware analysiert wird. Drei von vier Kunden äußern Bedenken, dass damit persönliche Daten von ihnen gesammelt und gespeichert werden. Und zwei Drittel gaben an, den Supermarkt dann teilweise oder komplett meiden zu wollen. Nur knapp ein Viertel der Kunden vertraut darauf, dass die Unternehmen einen ausreichenden Datenschutz gewährleisten und die Daten nicht weitergeben. Auch Verbraucherschützer geben zu bedenken, dass der Kunde nicht gezwungen werden darf an einer Kasse mit Gesichtserkennung zu bezahlen. Inwieweit sich der Datenschutz mit der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung ab Mai 2018 ändern wird, bleibt zurzeit noch abzuwarten.
Der Händler Real reagierte schnell auf die Beschwerden und baute die Kameras wieder ab. Die Deutsche Post hingegen wiegelt ab und versichert, dass die Fotos nur 150 Millisekunden gespeichert werden, um diese bei der Betreiberfirma in Augsburg zu analysieren. Des Weiteren reiche der allgemeine Hinweis am Eingang zur Videoüberwachung aus. Sie hat die Technologie dennoch erstmal auf einzelne Filialen und Partnerunternehmen, wie Tankstellen oder Zigarettenläden, und bis zum Jahresende beschränkt.
Aktuell ist noch nicht absehbar, wie sehr und welche dieser Technologien sich trotz Datenschutzbedenken und Ablehnung der Kunden etablieren können. Die Möglichkeiten erscheinen jedoch immer mehr als nahezu unendlich.
PS: Möchten Sie einmal testen, was eine Kamera mit Hilfe einer einfachen Gesichtserkennung ablesen kann? Das können Sie in der Testumgebung der Berliner Morgenpost ausprobieren. Er werden lediglich eine Webcam oder Smartphone-Kamera und eine Internetverbindung benötigt. Aber Achtung, die Daten werden dabei an Microsoft übertragen.
Quellen:
Aus Angst vor Image-Schäden: Real beendet Tests mit Gesichts-Scannern
Durchs Schaufenster betrachtet
EU-Datenschutz-Grundverordnung
Für gezielte Werbung: Deutsche Post testet Displays mit Gesichtserkennung
Gesichtserkennung: No-Go für die Mehrheit der Verbraucher